Dienstag, 28. Juni 2016

Gastblogger Antje

Ich freue mich immer wenn ich Texte von Gastbloggern veröffentlichen darf.
Antjes Geschichte kommt mir in vielen Bereichen so bekannt vor und fühle mich gleich wieder zu Jolinas Geburt zurück versetzt.
Danke Antje für den Einblick ganz ohne Glitzer und Regenbogen, aber ganz viel Sonne am Ende.





Ich glaube, meine Frauenärztin fragte uns mal, ob wir gewisse Tests machen wollen. Kann sein. Ich glaube, Guido und ich haben mal darüber geredet, ob oder ob nicht. Aber uns war relativ schnell klar, dass wir nicht wollen. Warum auch? Ich war frische 27 Jahre alt, in unseren Familien gibt es keine besonderen Erkrankungen und außerdem wird so oder so nichts sein. Und wenn doch? Hmm… ich glaube wir waren uns damals schon relativ sicher, dass wir unser Kind so oder so nehmen. War ich das? Ich glaube so sicher wie heute, war ich mir damals nicht. Ich weiß es nicht mehr. Aber Tests wollten wir keine.


Wir erwarteten unser erstes gemeinsames Kind. Ausgerechnet war unsere Tochter am 4.5.2013. Die Schwangerschaft war wunderbar, leider verlief sie nicht ganz ohne Probleme. In der 18. Schwangerschaftswoche bekam ich Blutungen und musste 2 Wochen in der Klinik liegen. Wir machten uns große Sorgen, da man nicht wusste, woher die Blutungen kamen und wie und ob die Schwangerschaft weiter verläuft. Daher bekam ich fast täglich einen Ultraschall, um zu schauen, ob das Herzchen noch schlägt. Es schlug. Und es schlug weiter. Gott sei Dank J
Die Pränataldiagnostik unten in der Klinik war riesig, fand ich. Tolle Geräte, neue Geräte, top Ausstattung. Das kleine Würmchen in mir wurde mal so richtig unter die Lupe genommen und was man da schon alles sehen konnte! Organe, Größe, alles da und an der richtigen Stelle. Die Blutungen dauerten noch zwei Wochen, aber das war auch das einzige was die Ärzte zu „bemängeln“ hatten. Irgendwann hörten die Blutungen  auf und ich durfte nach Hause. Tja, man sieht eben nicht alles. Gott sei  Dank? Heute sage ich ja.

Der Rest der Schwangerschaft verlief problemlos. Je näher der Termin rückte, desto aufgeregter wurde ich. Der Entbindungstermin kam und unsere Tochter nicht. 3 Tage später dann endlich bekam ich mittags regelmäßige Wehen im Abstand von 5 min. Meine Frauenärztin schickte mich direkt ins Krankenhaus. Die Geburt verlief leider nicht so, wie ich es mir gewünscht hatte. Leider musste unsere Tochter nach über 12 Stunden per Kaiserschnitt geholte werden, da die Herztöne schlechter wurden und sie  sich einfach nicht richtig drehte. Am 7.5. um 00:47 Uhr erblickte Emma Lotta das Licht der Welt.

Emmas Papa sah sie zuerst. Er erzählte mir später, dass er es direkt wusste. Er wusste, dass etwas nicht stimmte. Er sah es an den Blicken der Hebammen, der Ärzte, der Dauer der Erstuntersuchung und am Getuschel. Aber sie sagten nichts. Erstmal.
Als Guido mir unsere Tochter brachte, spürte ich es auch. Irgendwas stimmte nicht. Ich hatte mir das alles irgendwie anders vorgestellt. Der erste Moment, wenn man sein Kind im Arm hält musste doch etwas besonderes sein, ein unglaublich fröhlicher und ergreifender Moment. Irgendwie war es aber anders. Ich kann es schwer beschreiben. Ich glaube, ich war irritiert. Ich habe sie mir anders vorgestellt. Sie war süß, ja. Sah aus wie ein kleines Püppchen. Ich erinnere mich daran, dass die Hebamme sagte: „Sie sieht aus wie eine Puppe. Sowas habe ich noch nicht gesehen. Ein richtiges Püppchen.“
Die ersten Stunden verbrachten wir zu dritt im Zimmer. Ich erinnere mich nicht mehr daran, was wir genau gemacht haben. Haben wir uns unterhalten? Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass  irgendwann eine Ärztin ins Zimmer kam und sagte, dass es bei der Erstuntersuchung Auffälligkeiten gegeben habe. Bähm! Da war es. Es gäbe Anzeichen dafür, dass Emma das Down Syndrom haben könnte.
Könnte.
 Ich bin mir ziemlich sicher, dass es die Ärztin damals schon wusste. Wenn ich mir heute die Bilder von damals anschaue, weiß ich es auch.
Ein Schnelltest wurde angeordnet. Am nächsten Tag sollten wir das Ergebnis bekommen. Für mich tat sich der Boden auf und ich fiel in ein tiefes Loch. So muss es sich also anfühlen, wenn für jemanden die ganze Welt zusammenbricht.

Guido verbrachte die erste Nacht mit Emma und mir im Elternzimmer. Für uns war es eine schreckliche Nacht. Wir weinten, sprachen nicht viel, aber zückten unsere Handys und „googelten“.
Down Syndrom. Was ist das genau? Woran erkenne ich es? Und Emma lag die ganze Zeit neben uns im kleinen Bettchen, so brav und still und nichtwissend, welche Qualen und Ängste ihre Eltern ertragen mussten und sie im Grunde nicht ertragen konnten. Zumindest für mich war in diesem Moment  „das Leben vorbei“. Wahrscheinlich dachte sich Emma schon damals:“ Ihr werdet schon noch sehen. Schon bald werdet ihr wissen, was für ein Glück ihr eigentlich habt.“ ;-).
Wie Recht sie damit hatte.

Guido und ich verglichen die ganze Nacht hindurch. Wie eine Strichliste. Das hat sie, das hat sie nicht… und wir kamen irgendwann zum Ergebnis, dass es schon irgendwie so aussah als ob es stimmte, es aber nicht stimmen konnte und es deswegen auch nicht sein konnte.
Am nächsten Tag kam die Ärztin und bestätigte den Verdacht. Wo andere Menschen nur 46 Chromosomen haben, hat Emma 47. Trisomie 21, Down Syndrom eben. In Emmas Fall, wie wir später untersuchen ließen, eine Translokationstrisomie. Eine oft erbliche Form der Trisomie 21.
Ich erinnere mich noch genau daran, welche Gedanken ich damals hatte: Verlässt mein Mann mich jetzt? Wie sagst du es Familie und Freunde? Wie kann ich es überhaupt jemandem sagen? Muss ich jetzt wirklich mein ganzes Leben mit einem behinderten Kind leben?
Klar war, dass meine Freundinnen Emma und mich besuchen wollten und ich nicht wusste, wie und was ich jetzt sagen und tun musste.

Dann ging alles ganz schnell. Aufgrund einer weiteren Routineuntersuchung wurde festgestellt, dass Emmas Sauerstoffsättigung nicht stimmte. Sie war unterversorgt. Verdacht auf einen Herzfehler. Ein Rettungswagen kam, Emma wurde mir noch kurz im Inkubator mit Schläuchen und Kabeln gezeigt, dann war sie weg. Gesehen habe ich sie erst 3 Tage später wieder in der Kinderherzklinik in Sankt Augustin.
Zwischenzeitlich aber kamen meine Freundinnen und Emma war schon nicht mehr da. Was ich tat? In meiner Not schrieb ich einer meiner Freundinnen einfach eine SMS: „Emma ist übrigens verlegt. Sie hat wohl einen Herzfehler und das Down Syndrom. Bis gleich“. – oder so ähnlich. Verrückt? Irgendwie ja.  Irgendwie war damals alles verrückt.

Und dann geschah dass, was alles irgendwie veränderte. Meine Freundinnen kamen ins Zimmer rein, mit Blumenstrauß und Geschenk bepackt und gratulierten mir! Sie gratulierten mir zur Geburt unserer Tochter. Danke dafür! Für einen kurzen Moment war alles so normal und Recht hatten sie.
Meiner  Mutter sagte ich es schon einen Tag vorher am Telefon. Da wussten wir noch nicht, ob es sich bestätigen würde. Als die Diagnose dann feststand, sagte sie zu mir: Sie ist unsere Enkeltochter, wir lieben sie, so oder so. Mein Papa verlor eine Woche seine Stimme und danach war auch für ihn alles gut ;-) Heute sind Emma und Opa unzertrennlich. Sie haben eine ganz besondere Beziehung. Momentan ist Emma ein richtiges „Opakind“

Mit 5 Monaten wurde Emma am Herzen operiert. Sie hat alles gut überstanden. Mittlerweile ist sie 2 ½ Jahre alt und stolze große Schwester eines 9 Monate alten Bruders, Emil.
Wenn ich an Emmas Geburt zurückdenke, dann kommen mir jedes Mal die Tränen. Ich erinnere mich daran, wie schrecklich damals alles für mich war und ich denke darüber nach, wie unsinnig meine Ängste damals waren.  Man hat Angst vor dem, was man nicht kennt. Man hat Angst vor dem Unbekannten. Und das kennen wir aus mehreren Bereichen unseres Lebens. Heute habe ich keine Angst mehr, vor dem was kommen mag. Als ich mit unserem zweiten Kind schwanger wurde, war uns schnell klar, dass wir wieder keine weiteren Untersuchungen machen würden. Es hätte nichts geändert. Und Angst hatten wir auch keine.



Danke Emma, dass du uns so viel gelehrt hast. Dein Papa und ich sind sehr stolz auf dich und unglaublich glücklich darüber, dass du uns als Eltern ausgesucht hast und keine anderen. Uns wäre so viel Schönes entgangen. Hätte ich damals weniger über mich nachgedacht und hätte mir dich mehr angeschaut, hätte ich wohl gesehen, wie glücklich du damals schon warst und wie glücklich ich damals schon hätte sein können.

Was ich heute weiß ist, dass Gesundheit zwar wichtig, aber nicht zwingend notwendig ist um glücklich zu sein. Wenn ich heute meine Tochter anschaue, empfinde ich genau diese unbeschreibliche Liebe, die ich damals kurz nach der Geburt vermisst habe. 

Text und Fotos: Antje Benner

4 Kommentare:

  1. Vielen Dank für den schönen Bericht!!!

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  2. Großartig! Danke für diesen Bericht und alles Gute für Emma.
    Magdalena

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  3. Danke für diese wundervolle Erzählung. Ich wünsche Emma und ihrer Familie weiterhin so viel Freude. Ich muss mir gerade erst einmal ein Taschentuch holen gehen. *schnüffistdasschön*
    LG Micha

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  4. Vielen Dank - als hätte ich es selbst geschrieben...

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