Montag, 10. November 2014

Die Kunst des Spagats zwischen Beschützen wollen und Los lassen können

Anstatt heute einen Blog über unseren wundervollen Ausflug nach Willingen zu schreiben löse ich einfach einige der Bilder aus dem Zusammenhang und erzähle eine ganz andere Geschichte.

Eine Geschichte über das "Was traue ich meinem Kind zu?" und "Wie sehr muss ich es beschützen?"

Ich glaube Eltern von Kindern mit Beeinträchtigung neigen dazu ihre Kinder zu sehr zu beschützen, wobei es sowieso ein Zeichen unserer Zeit ist, siehe Helikoptereltern.

Schaut mal diese Bilder.




Im Prinzip nichts besonderes. Eine glückliche 5-Jährige fährt (ja wie heißt so ein Ding? Mattenrodeln?) eine Rodelbahn hinunter.
Souverän hält sie sich an den Mattengriffen fest


um sich dann die Matte zu schnappen, natürlich nicht ohne lautes Stöhnen um der Welt mitzuteilen wie extrem schwer dieses Teil ist


und dann zu einer neuen Talfahrt zu starten.

fast ganz alleine


nach ein paar mehr Versuchen wäre es sicher auch wirklich ganz ohne Hilfe gegangen.


Und wenn man das fast ganz alleine schafft, hat man nicht nur Spaß, sondern ist natürlich auch stolz auf seine Leistung.


Doch da ist dann der Haken.
Wie viel trauen wir unsern Kindern zu? Was kann man sie auch mal ausprobieren lassen ohne das das Scheitern in einer kleinen bis mittleren Katastrophe endet?

Diese Rodelbahn steht nur stellvertretend für viele Dinge im Alltag.

Unserer Großen traue ich sehr viel mehr zu als es evtl. durchschnittliche Eltern tun. Warum? weil sie die Große ist und das das Schicksal der älteren Geschwister ist? Oder weil sie das Kind ohne Extrachromosom ist und dadurch manchmal einfach weniger Aufmerksamkeit bekommt weil die Eltern einfach so ausgelutscht sind das es aus reinem Selbstschutz nicht zum Überbehüten kommt?

Natürlich kommt es auch einfach auf das Naturell der Eltern an und oft sind ja die Väter viel relaxter, denn sie sind genetisch so angelegt.
Kennt ja jeder, die typische Frage der jung verliebten Frau "Was denkst Du?" und der Mann sieht sie nur an und antwortet "Nix!"
Wir Frauen haben uns in der Zeit unsere Zukunft ausgemalt, geheiratet, Kinder bekommen und das innerhalb von Sekunden, in der Zeit denkt der Mann: "Nix" - glauben wir nicht wenn wir jung sind, wie oft hab ich dann gesagt: "Kann ja gar nicht sein, man kann nicht nichts denken!"
Doch, ich habe gelernt, es geht, man kann tatsächlich den Kopf total entleeren und nichts denken, hihi, Männer jedenfalls. Das macht die Kindererziehung teilweise auch dann etwas anders und führt auch zu Konflikten.

Ich bin der Typ Mensch der sieht die Kaffeetasse schon auf dem Boden liegen, da steht sie noch nicht mal auf dem Tisch. Das ist natürlich bei einem Kind wie Jolina sehr hilfreich um Gefahren zu minimieren, bringt mich aber auch oft an den Rand der totalen Erschöpfung.

Natürlich habe ich gelernt das Murphys Gesetz nicht immer zuschlägt und ich würde meine Große in ihrer Entwicklung hemmen würde ich sie nicht alleine von der Schule nach Hause laufen lassen oder zu Freunden.

Es gibt Mitschüler die werden abgeholt und zu jedem Treffen mit Freunden gebracht. Sie glauben ihre Kinder schützen zu müssen, vor dem Verkehr, vor dem bösen Onkel der die Kinder zu sich lockt, oder vor so vielen anderen Dingen.

Wie lange kann man Kinder beschützen? Wo muss man anfangen ihnen Selbständigkeit zuzutrauen?
Wie soll ich Louisa in 1,5 Jahren mit dem Bus oder Zug vollkommen selbständig in die benachbarte Kreisstadt in die Schule fahren lassen wenn ich sie nicht schon rechtzeitig daran gewöhne ihren Weg alleine zu gehen?

Manchmal erwarte ich auch zuviel, doch dann zeigt Louisa mir ihre Grenze und teilt mir das sehr deutlich mit.

Und hier ist der Punkt an dem mein Problem einsetzt.

Was kann ich Jolina zutrauen?

Ich bin mir durchaus bewusst, ich unterschätze sie sehr oft. Schuld daran ist die Sprache. Jolina versteht sehr viel, glaube ich jedenfalls, natürlich neige ich manchmal dazu sie zu zu texten, viel zu schnell und zu kompliziert (aber ich habe mich meist wirklich im Griff und argumentiere Jolina-Gerecht) aber zum großen Teil sehe ich, sie weiß genau was man will und dann gibt es wieder die Momente da denke ich "Jetzt weiß sie gar nicht was ich will"

Sie kann mir nicht ausgefeilt antworten was sie jetzt an meiner Frage nicht verstanden hat und mehr als ein "häh?" dem von mir als Antwort dann meist ein "Das heißt wie bitte?" auf dem Fuße folgt kommt dann nicht.

Ich bin mir unsicher ob sie eine Gefahr erkennen würde um zu reagieren, nein eigentlich bin ich mir sicher, das sie die Gefahr eben nicht erkennen würde.

Nein! Man steigt nicht vom fahrenden Karussell! Man springt nicht ohne Schwimmflügel ins tiefe Wasser! Man rennt nicht einfach auf die Straße! Man steckt keine Finger in die Steckdose und wenn es noch so verlockend ist.

All diese "fallenden Kaffeetassen" habe ich ständig vor Augen und um mich selbst vor Stress zu schützen vermeide ich viele Situationen und nehme meinem Kind dadurch die Möglichkeit etwas auszuprobieren.

Spielplätze sind Stress, jedenfalls für mich als Mutter. Ich muss immer ganz dicht dran sein am Kind, sonst bin ich evtl. bei einem möglichen Unsinn der ihr plötzlich einfällt nicht schnell genug am Mann bzw Kind.

Ich erinnere mich an eine Situation da war Louisa noch keine 4 Jahre alt und sie war mit dem Laufrad vor mir und ich mit dem Kinderwagen dahinter relativ unbeweglich und nicht wirklich fähig einzugreifen. Sie fuhr nicht auf der Straße sondern auf einer Parkfläche als ein LKW plötzlich rückwärts fuhr. Ich habe meine Stimme in dem Moment selbst nicht erkannt. In dem "Stopp!" das ich schrie klang der pure Wahnsinn und die Panik ums eigene Kind. Louisa war sicher nicht das Kind das beim ersten Stopp stehen blieb aber in dem Moment stand sie gewarnt durch diesen panischen, fast unmenschlichen Schrei wenige cm vor dem Laster und es passierte nichts außer das mein Herz sich fast überschlug, so schnell klopfte es.
Ich bin mir sicher, Jolina würde nicht stehen bleiben und daher traue ich mich ganz viel nicht mit ihr aus zu probieren, denn die Vorwürfe die man sich dann selbst macht würden wohl nie aufhören.

Trotz all dem oder gerade deshalb habe ich sehr viel Gelassenheit gelernt.
So war ich nicht immer, ich bin ein Mensch der unheimlich hohe Erwartungen an sich selbst hat und die dadurch auch an andere.
Schmunzelnd musste ich hören als andere vor kurzem bei einem Event das wir auf die Beine stellten zu mir sagten: "Du bist entschieden zu gelassen. Wie kannst Du nur so entspannt sein?"
Meine Antwort war: "Mit einem Kind das etwas anders ist als die anderen lernst Du das. Es wird garantiert anders als Du denkst und das Wort "Peinlich" hat auch eine vollkommen neue Dimension bekommen."




Louisa machte es vor.
Jolina machte es nach.

Natürlich waren da die Gedanken ob sie die Finger nicht irgendwo einklemmt, oder mitten in der Fahrt versucht auf zu stehen oder, oder, oder ....

Wie lange sollten wir warten sie so etwas probieren zu lassen? Bis sie 14 ist?
In dem Moment ist es natürlich hilfreich zu zweit zu sein um ein zugreifen oder um sich gegenseitig zu bestärken das ja nix passieren kann und sie das schon kann.



Schaut Euch das Gesicht an.
Dies ist die erste "Fahrt"
Wäre doch doof wir hätten uns nicht getraut.








Es ist gar nicht möglich unsere Kinder immer und überall zu beschützen. Doch wir denken wir müssten es und von allen Richtungen kommt der erhobene Zeigefinger. "Wie könnt ihr nur?" oder "Das hättet ihr doch ahnen müssen!"

Die Gesellschaft weiß es immer besser, egal in welche Richtung.
Wir werden immer mehr verunsichert und hören immer weniger auf unser eigenes Gefühl und tun wir es trotzdem müssen wir uns auch noch erklären und die Stärke beweisen hinter unseren Entscheidungen zu stehen.

Ich müsste nur auf meiner Facebook-Seite schreiben "Ich habe meine Kinder impfen lassen!"
Das was dann darunter entstehen würde an Diskussion brauche ich aber nicht und es geht einfach auch keinen etwas an.

Ich muss mit meiner Entscheidung leben und es ist auch so das ich meine Entscheidungen selbst treffen muss auch wenn es ja so einfach ist zu sagen "Der oder der hat mir aber gesagt ich müsse...."

Dies führt schon zu solchen absurden Dingen das Menschen nicht mal mehr ein Shirt nähen können ohne vorher in einer facebook-Nähgruppe die Frage zu stellen ob sie rotes oder blaues Bündchen nehmen sollen.

Ich habe meine Entscheidung für diese Bündchen übrigens vollkommen eigenständig getroffen und finde es genau richtig und wem es nicht gefällt dem kann ich jetzt auch nicht helfen und es ist mir auch Wurscht.






Diese Gelassenheit bei den eigenen Entscheidungen muss man einfach lernen und dann auch die Folgen tragen zu können.
Bei hässlichen Bündchen passiert ja jetzt nichts wirklich Schlimmes, doch es ist schon mal ein Anfang und da ich ein gewisses Alter erreicht habe in dem ich schon viele Entscheidungen treffen musste, vor allem im Beruf aber auch Privat fällt es mir auch leichter dahinter zu stehen.




Entscheidungen bei der Kindererziehung haben immer Folgen und zwar für das eigene Kind und natürlich möchte man immer nur das best mögliche und weil unsere Kinder in der heutigen Zeit oft unsere Augensterne sind sind wir oft extrem vorsichtig (was ich mit mir selbst früher ganz ehrlich nicht war, oder ist es etwa besonders vernünftig trotz gebrochener Rippe zu tauchen und dabei die eigene Lunge zu riskieren?)




Gerade wenn man selbst bereit war seine eigenen Grenzen aus zu testen sollte man das seinen Kindern zugestehen und wenn ich mir überlege welchen Blödsinn ich alles angestellt habe, dann sollte ich bei meinen Kindern einfach mehr Vertrauen haben das sie das genau so wuppen wie ich das geschafft habe und schließlich ist ja was aus mir geworden.



Und oft macht der größte Quatsch am meisten Spaß und liefert Stoff den man nach 20 Jahren noch mit guten Freunden erinnert mit: "Weißt Du noch als wir ...." hier könnt Ihr frei Eure Geschichten einsetzen und überlegen was ihr darüber als Eltern denken würdet. Ohhh nein! Meine Kinder sind noch klein, ich will es mir gar nicht ausmalen, sonst fällt wieder ne Kaffeetasse runter die noch nicht mal gekauft ist.






Ich versuche ihn einfach, den Spagat zwischen behüten und los lassen.

Es ist nicht immer einfach und manchmal bringt es mich mehr an meine Grenzen als das was ich früher selbst ausprobiert habe.

Doch ich möchte das meine Kinder die Möglichkeit haben Erfahrungen zu machen unter der schützenden Hand soweit dies möglich ist und mit soviel Eigenständigkeit wie es eben braucht.



Mit diesem Honigkuchenpferdgrinsen von Jolina bedanke ich mich wenn ihr mir bis zum Schluss zugelesen habt bei meinen wirren Gedankengängen die sich mal wieder überschlagen haben, weil manchmal das Kaffee kochen zwischen Tasse aus dem Schrank holen und runterfallen in meinen Ausführungen fehlt.





7 Kommentare:

  1. Liebe Martina ich lese dich mit Begeisterung - dieser Beitrag spricht mir so sehr aus der Seele- es ist ein wirklich riesiger Spagat zwischen beschützen und loslassen. Ganz oft denke ich "probiere es aus" - er hat Null Gefahren Erkennung, er spricht wenig hat den Sprachcompi meist draußen nicht dabei - dem großen hab ich schon früh alles zugetraut - er war kein "ausprobierer" er blieb schon ab der ersten Klasse alleine zu Hause weil ich täglich die Stunde zum Kiga fahren musste und er einfach keinen Bock hatte mitzufahren. Er war halt schon groß - irgendwie schon immer - wenn ich beim kleinen ( na ja auch schon 11 Jahre ) versuche ihn (in fremder Umgebung) eigenständiger werden zu lassen endet es damit das wir den Notarzt brauchen - weil er gestolpert ist und mit dem Kopf in die Biergarnitur gekracht ist - genau in den 3 Minuten in denen ich auf dem Klo war - (geh ich nu nie wieder aufs Klo ?? Besuche ich einfach die Freund nicht mehr ?? ) es ist schwer und oft frage ich mich ob ich ihn eben hemme selbstständig zu werden ?? Ich hasse Spielplätze ich mag nicht klettern und nicht rutschen ich mag mich nicht ständig Blöd anschauen lassen weil ich auch auf dem Kletterturm stehe - also vermeide ich Spielplätze ( is das nu gut oder hemme ich nun schon wieder) tja es wird nicht einfacher und wir können nur unser bestes geben solange unser Bauchgefühl leitet werden wir die Kaffeetasse schon fangen liebe Martina und wenn nicht sind wir meister darin zu wissen wo der Lappen und die Kehrschaufel wohnt - und stell dir vor wir könnten nicht von Zeit zu zeit ganz wundervolle neue Kaffeetassen kaufen - ich drück dich - Conny

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    1. Es tut immer gut zu wissen man ist nicht ganz alleine, man weiß das natürlich, aber ab und zu will man es auch hören. Ich drück Dich mal

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  2. Tolle Bilder. Wie schön, dass ihr dieses kleine Abenteuer eurer Tochter zugetraut habt. Es sieht aus, als hätte ihr das sehr viel Spass gemacht. Würde es mir auch, ich will auch rutschen :).
    Ihr macht das wunderbar.

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  3. Hallo Martina, ich lese Deinen Blog sehr gerne und habe Dich deshalb für "Liebster Award" nominiert. Alle Infos findest Du auf meinem Blog. Viele Grüße von Miriam

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  4. Dein "Tun nach Deinem Gefühl" ist ganz genau gut und richtig!
    Ein toller Post mit all den Bildern!
    herzliche Grüsse
    Elisabeth

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  5. ich bin mittlerweile mega gelassen, so gelassen das ich auf Spielplätzen mittlerweile ein Buch lesen kann, habe aber irgendwie ein Gespür dafür entwickelt wenn Lotte Mist macht, ich werde unruhig, das fällt auch anderen auf, wurde schon darauf angesprochen
    es geht nicht anders, ich möchte das Lotte mal die größtmögliche Selbständigkeit erreicht, dazu gehört scheinbar das die Mama immer wieder einen halben Herzinfarkt erleidet um danach ein glückliches stolzes Kind zu erleben

    Liebe Grüsse
    Beatrice

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  6. Ein wichtiger Blogeintrag - aber zu deiner Frage bei mir: Hast du die Grafikadresse an beiden Stellen geändert? Das war zunächst mein Fehler - das https muss nach href= und nach src= weg, also zweimal pro Bild. Du kannst auch einfach im Skript nach allen https suchen ... Und nach dem abspeichern auf der Seite den Cache mit F5 musst du auch noch leeren - manchmal liegts daran ...

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