Samstag, 10. Oktober 2015

Kopfkino im Kino bei "Alles steht Kopf"

Ganz schön viel Kopf und Kino, gell?

Von vorne.

Ab und zu, viel zu selten gönne ich mir Mutter-Tochter-Qualitätszeit mit Louisa.

Zeit die auch ich genieße mit einem Kind, das einen zwar auch sehr gezielt und recht oft auf die Palme bringen kann, doch ich finde es angenehm mich unterhalten zu können mit dem Wissen das was ich sage kommt an (naja, wenn die Ohren nicht auf Durchzug sind), oder ich muss sie nicht ständig im Auge haben, denn unter ein Auto wird sie mir ja wohl nicht mehr rennen.
Auch für Louisa ist es wichtig mal ganz ungestört im Focus zu stehen, obwohl das auch sonst oft genug so ist, doch sie empfindet es anders.

Am Samstag musste Louisa also mit mir ins Kino weil ich unbedingt "Alles steht Kopf" sehen wollte.
Okay, sie hatte auch Spaß daran, aber ich war der Initiator.
Der Film ist übrigens wirklich sehr sehenswert und regt zum Nachdenken an. Also was für den Kopf, haha.

Unseren Lieblingsplatz ganz am Rand haben wir nicht mehr bekommen und tatsächlich war der ganze Saal ausgebucht.

Wir suchten unsere Plätze, stellten unsere Getränke in die Halterungen und machten ein Kinoselfie.

Wunderbar, keine Jolina die unsere Zweisamkeit störte.

.... und dann kam er, mein Sitznachbar.

Uuuups, vom Alter her schwer zu schätzen, ich würde sagen etwas zwischen 13 und 19 und geistig behindert.

"Halloooooo!" begrüßte er mich. Natürlich war ich auch nett und sagte Hallo, ein Fehler?
Natürlich nicht, aber damit öffnete ich meinem Sitznachbar Tür und Tor.

Seine Schleich-Dinosaurier, sagten mir auch hallo, fauchten mich an und trommelten auch schon mal auf meinen Rücken als ich mich zu Louisa drehte.

Ich beschloss meine Cola mal lieber aus dem Halter zu nehmen und fühlte mich richtig schlecht dabei, aber ich war mir nicht sicher, ob er die Finger davon lassen würde und das wollte ich dann wirklich nicht. Puhhh, ich fühle mich schon wieder schlecht, jetzt wo ich das schreibe, aber zur Erklärung, ich habe ein Problem mit körperlicher Nähe eine Umarmung von mir ist höchst selten und kommt dann wirklich ganz tief aus meinem Herzen. Auch meine Kinder werden nicht viel bekuschelt, ist nun mal eine meiner Macken, perfekt ist ja wohl keiner. Und daher wollte ich meine Zone vor diesem Sitznachbar abschotten und mein Getränk war schon zu weit an ihm dran, egal ob er jetzt behindert war, aber da er mir zu nahe kam, war es eben ein großes Problem für mich.

"Du-uuu!" ich wurde dabei in die Seite gekiekst und nachdem ich schaute musste ich wieder einen Dinosaurierangriff über mich ergehen lassen.

Der Begleiter, Vater oder Betreuer, das konnte ich nicht ausmachen, sagte zwar ab und zu mal was zu ihm, dass er aufhören solle und man würde sonst sofort gehen, aber mich hat er nicht einmal angeschaut oder angesprochen.

Ganz ehrlich? Ich hätte das erwartet. Inklusion hin oder her, das gehört sich doch so, oder?

Jetzt war ich ja nur eine Mutter die da sehr aufgeschlossen ist und sich mal einen behindertenfreien Nachmittag machen wollte (dumm gelaufen), aber die meisten Menschen kennen sich damit nicht aus, da geht man doch nicht so drüber weg, oder?

Mein so entspannter Kinonachmittag war plötzlich nicht mehr so entspannt.
Zwar schaute mein Nachbar gebannt den Film und war nur ab und zu laut, doch das war das Kleingemüse in den Reihen vor uns auch.

Aber ich machte mir Gedanken.

Gedanken über meine Reaktion und wie die wohl bei anderen gewesen wäre.
Gedanken über meine innere Genervtheit über den jungen Mann.
Gedanken über meine Tochter, wie die wohl mal in 10 Jahren sein würde.
Gedanken über den Mann der nichts zu mir sagte.
Gedanken über die Erwartungshaltung anderer Eltern von behinderten Kindern.


Gerade vor kurzem gab es bei der facebook-Gruppe eine rege Diskussion darüber, dass sich eine Mutter darüber aufregte, dass sie ein Kompliment für das Aussehen ihrer Tochter bekommen hatte, aber mit dem Nachsatz, dass andere Menschen mit Down Syndrom ja gar nicht so schön wären.

Ich finde einfach man sollte als betroffene Eltern nicht immer Rücksichtnahme erwarten und darauf bestehen, dass sich das Gegenüber immer genau so ausdrückt wie das politisch korrekt ist.

Man ist doch als Gegenüber ganz schön hilflos und unsicher wie man jetzt reagieren soll und ist froh an die Hand genommen zu werden, damit man diesen wackligen Weg der richtigen Wortwahl nicht alleine gehen muss.

Ich finde es vermessen, dass Eltern von behinderten Kindern immer Rücksicht fordern, aber nicht über den Tellerrand schauen können.
Oder sich vielleicht zurückerinnern, man wird doch nicht als Spezialist für den Umgang mit Behinderten geboren und bevor man sein Kind hatte war man evtl. auch unsicher etwas falsch zu machen, oder hat sich blöd benommen.

Ich war auch nicht glücklich mit mir, dass mich jetzt mein Dinosaurierfreund so genervt hat, bin ich doch froh, wenn meine Tochter auch auf verständnisvolle Menschen trifft.
Vielleicht hätte ja ein freundliches Wort des Begleiters alles besser gemacht, doch für den Typ war ich Luft.

Auf meiner Stirn steht nicht: "Bin auch ständig im SPZ" oder "Meine Tochter hat auch nen Behindertenausweis." Wenn ich ohne Jolina unterwegs bin, dann bin ich wie alle anderen und dann fordere ich einfach auch meine eigene Inklusion, meine Teilhabe und wenn mich ein fremder Junge mit Dinosauriern als Spielfläche benutzt, dann erwarte ich ein freundliches Wort oder wenigstens ein Lächeln.


Ich wünsche mir, dass ich so bleibe wie ich bin, immer bemüht es auch anderen leicht zu machen sich auf mein Kind einzulassen und auch immer den Respekt gegen andere zeige, wenn Jolina gewisse Grenzen überschreitet.
Teilhabe bedeutet einfach geben und nehmen, ich kann nicht nur erwarten, dass andere mit offenen Armen auf mich zu kommen, eine Gegenleistung und wenn es nur ein dankbares Lächeln ist gehört einfach dazu.


2 Kommentare:

  1. Wir waren auch in dem Film, Nachmittagsvorstellung und seit ca 4 Jahren das erste Mal im Kino. Bei uns war der Saal nicht ausgebucht, uns wo saß eine ältere Frau die einen DÖNER im Kino auspackte? Ja..neben mir. ..mein Mann isst seit Jahren keinen Döner zuhause da ich in sensibles Näschen hab und mir dann übel wird.Da hab ich mich zuerst richtig geärgert, dann aber auf den Film konzentriert. Danke für deinen Post,ich kann das sehr gut verstehen, ich fühle mich auch unsicher im Umgang mit anderen behinderten Menschen, denke, dass man es nie ganz richtig machen kann. Du glaubst nicht was ich für Gedanken hab wenn ich an nächsten Samstag denk . Florian Sitzmann kommt zu uns,auch nach Hause..überleg schon ob ich Möbel umstellen muss ;-) Dabei ist er wirklich unkompliziert, zumindest am Telefon. Mit geistig behinderten Menschen tu ich mich noch schwerer...liebe Grüße, Astrid

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  2. Freitag ist eine Frau mit Elektrorolli in uns reingebrettert, weil sie ja UNBEDINGT in die Bahn musste. Ich nicht. Stimmt. Ich stehe nur aus Spaß an der Freud vor der Tür und warte bis ich rein kann. Kann sie nicht warten? Fährt los, schreit los. So schnell konnte ich gar keinen Platz machen. Ich war aber angeblich die Dumme, die zu blöd war. Allerdings habe ich meinen Mund aufgemacht und gemeint, dass sie wegen dem Rolli ja nun nicht alle Rechte hat. Ich hätte platzen können.

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